Grüße zum 18. Dezember 2020
Adventskalender 2020

18. Dezember 2020

Schon wieder ist es Freitag und die Arbeitswoche endet heute für die Menschen, die in „Normalschicht“ arbeiten. So nannten wir das damals in meiner allerersten Arbeitsstelle. Lang lang ist das her und heute möchte ich ein bisschen darüber plaudern.

Normalschicht war die Beschreibung für die Arbeitswoche von Montag bis Freitag, beginnend 6.30 Uhr bis 16.15 Uhr. Darin enthalten war Frühstück 15 min und Mittagspause in der Kantine von 30 min. Gleitzeit gab es nicht, auch für „uns“ nicht, die Kolleginnen, die nicht „normal“ sondern rollende Woche arbeiteten.
Wir hatten das Privileg nur glatte 8 Stunden da sein zu müssen trotz der enthaltenen Pausen. Die Arbeitszeit begann 6, 14 oder 22 Uhr. Früh- Spät oder Nachtschicht war das und es war kollegial mindestens 15 Minuten vor Schichtwechsel da zu sein, um die Ablösung vornehmen zu können.
Rollende Woche hieß, es gab keine festen Arbeitstage von Montag bis Freitag, sondern immer einen 7 Tage Rhythmus. das Ganze hieß 4-Schicht System, weil immer eine Schicht frei hatte im rollierenden Sytem.
Nach 28 Tagen ging es von vorn los. Das war einprägsam und ich erinnere mich genau daran. So sah der Schichtplan in Zahlen aus: 2222333-1111111-3333222—- Die anderen Kollegen waren immer zeitlich versetzt dran, so dass die Maschine rund um die Uhr besetzt war und lief. Der Rhythmus war folgendermaßen: Mittwochs begann die Frühschicht für genau 7 Tage. Man kam am Dienstag aus der Frühschicht und musste am Freitag Abend in die Nacht bis Montag. Dienstag morgen war Schichtende und der kurze Wechsel bis zum Spätdienst am Mittwoch bis Freitag. Dann kam das sogenannte Großfrei bis Dienstag in der Folgewoche, die mit 4 Spätschichten begann und dann ab Samstag bis Montag mit 3 Nachtschichten endete. Man kam Dienstags morgens aus der Schicht und am Mittwoch begann wieder die Frühschichtwoche. 
Wer genau hinsieht, erkennt nur 7 Striche für freie Tage. Normalschichtler haben vergleichsweise 8 freie Tage – immer den Samstag und Sonntag. Das bedeutete bei uns, dass wir einen zusätzlichen freien Tag zur Wahl hatten, den wir rechtzeitig anmelden mussten und dann innerhalb der Arbeitstage nehmen konnten. War man als Frau verheiratet oder eine Mama, dann bekam man einen weiteren sogenannten Haushaltstag, der ebenfalls rechtzeitig gemeldet genommen werden konnte. Im Grunde hatte man viel mehr freie Zeit innerhalb der Woche, aber der ständige Wechsel von Tag und Nacht war gewöhnungsbedürftig. Da auch für uns Schichtarbeiter die Kantine öffnete gab es dann bspw. Nachts ab 1 Uhr „Mittagessen“ oder Abends ab 18 Uhr in der Spätschicht. Regelmäßiger Schlaf und ein gesunder BIO Rhythmus war nicht wirklich machbar, aber ich mochte die Arbeit.

Ich habe knapp 2 Jahre in diesem rollenden Schichtsystem gearbeitet. Der Hinderungsgrund das weiter zu tun ist jetzt 37 Jahre und heißt Marc. Sobald eine Schwangerschaft festgestellt wurde, durfte man nicht mehr in die Nachtschicht.
Anfangs habe ich gedacht, ich werde nie zurecht kommen wollen mit dem Arbeiten über den ganzen Tag. In meinem damaligen Leben war ich eine AT = Anlagentechnikerin – Spezialisierung Papier. Ich habe in Schwedt an der Oder in der Papierfabrik an einer Zeitungsdruckpapiermaschine gelernt und in Heidenau/Sachsen an einer Duplexpapiermaschine (daraus wurde dann Tapete gemacht) gearbeitet. Ein Papiermacher verdient dann Geld, wenn er nicht arbeiten muss… denn dann läuft es. Läuft es nicht, muss man arg schnell sein und manchmal gaaaaanz viel bei großer Hitze arbeiten. Wenn Papier in Rohform zusammen gemischt wird, ist es eine flüssige Masse, die über Siebe erst entwässert wird und dann über Filze getrocknet und geglättet. Es ist immer abhängig, welche Verwendung das Papier haben soll, wie es zusammen gesetzt ist. 

Mit Sicherheit sind die Maschinen nicht mehr so, wie ich sie zu DDR Zeiten kennen gelernt habe. Aber der Prozess des Papiermachens ist nicht verändert. Und wenn ich im Fernsehen gelegentlich große Tambouren sehe, dann erinnere ich mich gern. Ich habe wirklich mit Freude in meinem Beruf gearbeitet. Wir Frauen – mit denen ich arbeitete – haben im Labor das Papier geprüft. Für uns Schichtlaborantinnen waren die physikalischen Prüfungen entscheidend. Weißgrad, Durchreißkraft, Gewicht, Veraschung fällt mir ein und eine Erinnerung dazu habe ich noch in meinem Vitrinen Schrank. Wir hatten kleine Glasschalen mit Deckel in denen Glaskugeln waren, die als Kontroll-Gewichte dienten. In solchen Schalen wurde eine bestimmte Menge Papier, nachdem es verascht war (also verbrannt) gewogen. Das was übrig blieb, waren die Füllstoffe – grob gesagt die zugesetzten Chemikalien und Zusatzstoffe. Eine habe ich mir als Erinnerung mitgenommen 🙄 und sie begleitet mich seit fast 40 Jahren auch auf diversen Umzügen. Der Minidiebstahl ist verjährt… 🤫Die Erinnerung an die Arbeit ist aber heute sehr aktiv.

Ich habe es sehr gemocht Papier zu riechen, wenn es feucht war. Nach fast jedem Urlaub musste ich erst einmal eine „Nase voll holen“. Den Betrieb kannte ich schon als Kind, weil mein Großvater dort sein halbes Leben gearbeitet hatte. Rösslers war das vor dem Krieg und während dessen und danach war er der Chauffeur des Chefs. Opa war mit einer der ersten Autofahrer und er blieb Chauffeur sein Leben lang. Er fuhr mit Leidenschaft und weil es damals (am Anfang der Automobilzeit vermute ich) noch nicht so viele Fahrschulen gab, war es lange Zeit eine ganz sichere Qualifikation.  Später, nach der Enteignung und Umwandlung in einen VEB blieb er im dann sogenannten Fuhrpark. Ich lernte den Betrieb kennen als ich Kind war und später hörte ich nicht selten – Du bist die Enkelin vom Kurtl? Ja, die war ich und ein bisschen stolz darauf, dass er bekannt und geachtet war. 
Klar, in der DDR war Vitamin B mehr als entscheidend und jemand, der mit dem Auto unterwegs war, konnte durchaus auch das Eine oder Andere besorgen… 

Als ich dann aber so richtig in Heidenau angefangen hatte zu arbeiten, war mein Opa schon sehr lange in Rente. Als er starb, war ich schon nach Vorpommern gezogen und hatte ein neues, auch beruflich ganz anderes Leben begonnen. 
Die Stadtverwaltung war meine neue Herausforderung und nach der Wende dann auch über die Erwachsenenbildung ein Ausbildungsplatz. Die damit verbundene Arbeitszeit entwickelte sich so, wie ich es mir früher nicht vorstellen konnte. Der Tag war gefüllt von früh bis spät mit der Anwesenheit auf Arbeit und die große Sehnsucht war immer das kommende Wochenende. Die 5 Tage-Woche fühlt sich viel intensiver an, als es der 7 Tage-Rhythmus war. Es ist erstaunlich, wie wir uns aber immer in den Alltag fügen und uns darin einrichten. 

Ich habe die Möglichkeit gehabt, in verschiedenen Berufen aktiv sein zu können. Es hilft, sich mit den Wünschen und Kritiken auseinander zu setzen, die man dem jeweils anderen Berufstand entgegen bringt. 
Zudem habe ich in der ersten Ausbildung doch auch diverse handwerkliche Erfahrungen sammeln können🛠  und das Neuanfangen als Erwachsene hat mir das Vertrauen gegeben, dass ich das schaffen kann. Es blieb ja nicht bei dem einen Berufswechsel, es kamen ja Weitere hinzu. Ich denke, das es heutzutage noch mehr der „normale“ Weg ist, sich weiter zu entwickeln und nicht „nur“ in einem Job sein gesamtes Berufsleben zu verbringen. Offen zu sein für Veränderungen – sei es selbst gewählt oder durch die Umstände dazu genötigt – kann immer auch positive Ergebnisse haben. Als ich aufhören musste, in der Papierfabrik zu arbeiten war das eine ganz freiwillige Entscheidung. Gesundheitliche Probleme meines Sohnes brachten es mit sich aus der hohen Industriedichte in ein fast dörfliches Umfeld zu ziehen ohne Papierfabrik in der Nähe. Das war nicht leicht – aber rückblickend war es eine unabwendbare Veränderung, die mehr Positives hervorbrachte als erwartet, auch wenn das erst einmal gar nicht danach aussah. 

In unserer gegenwärtigen Zeit gibt es viele Brüche in beruflichen Laufbahnen. Manchmal muss man dann ganz neu anfangen und Vertrautes aufgeben. Leicht ist das nie, aber es ist machbar, wenn man sich darauf einlässt.
Als ich ATA (ich wurde Anlagentechniker und habe das A für Abitur stehen, das ich mit der Berufsausbildung parallel gemacht habe) wurde, wäre mir nie eingefallen, dass ich mal in einer Meldestelle sitzen werde oder vorher in einem Laden stand und verkaufte. Aber – warum nicht? Alles ist möglich, wenn man Ja dazu sagt.

Insofern wünsche ich uns Allen heute einen erfolgreichen Arbeitstag mit Freude an dem, was ihr da tut oder tun müsst. Bleibt diese Freude dauerhaft aus, sollte die Frage, was änderbar wäre, Raum bekommen und eine Antwort erhalten. Denn wenn wir immer nur auf die freien Tage hinhoffen und auf diese lauern um dann endlich entspannt zu sein, dann läuft etwas falsch und auf eine intensive Erschöpfung hin. Das wäre die schlechtere Entwicklung als über eine Veränderung nachzudenken.
Alles Liebe und bis morgen!

Eure Anne


Spruch des Tages

Es ist weniger schwierig, Probleme zu lösen, als mit ihnen zu leben.
Pierre Teilhard de Chardin

 

PS: ganz interessiert habe ich die Firmenentwicklung von Schwedt im Internet gefunden. Ich habe an der PM 1 gelernt und wenn ihr Interesse habt, schaut einmal was das für eindrucksvolle Maschinen sind… Da habe ich wirklich gute Erinnerungen an eine damals interessante Arbeit. [Achtung Werbung]PS2: Meine beruflichen Wurzeln bringen mich jederzeit dazu, konsequent alles Papier zu sammeln und der Wiedernutzung zuzuführen…. Papiermüll gehört nicht in den Restmüll, sondern kann recycelt werden. Danke dafür!